BAG kippt Allgemeinverbindlichkeit von Sozialkassentarifverträgen im Baugewerbe

Mit zwei Beschlüssen stellte jüngst das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlichkeitserklärungen der Sozialkassentarifverträge im Baugewerbe (VTV) für 2008, 2010 und 2014 fest - mit möglicherweise weitreichenden Folgen für die gesamte Baubranche. Nach Ansicht  des BAG fehlte es an den gesetzlichen Voraussetzungen für die entsprechenden Allgemeinverbindlichkeitserklärungen durch das Ministerium für Arbeit und Soziales.

Die hier betroffenen für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge regeln das Sozialkassenverfahren des Baugewerbes. Die Sozialkassen sind gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes (IG Bau einerseits und Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V. (HDB) sowie Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) andererseits), die Leistungen im Urlaubs-, Berufsbildungsverfahren sowie zusätzliche Altersversorgungsleistungen erbringen. Auf Grund von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Tarifverträgen gelten die tariflichen Regelungen nicht nur für die Unternehmen, die Mitglied in einem Bau-Arbeitgeberverband sind, sondern auch für alle nicht tarifgebundenen Unternehmen, die unter den räumlichen, persönlichen und betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrages fallen. Alle Betriebe, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fielen, wurden folglich zur Beitragszahlung an die Sozialkassen verpflichtet.

Erst das „Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie vom 16.08.2014“ erlaubte die Überprüfung der Allgemeinverbindlichkeitserklärungen (AVE) der Tarifverträge, wie nun hier auch der des Sozialkassenverfahrens in der Bauwirtschaft. Eine Gruppe von Betroffenen hatte sodann über einschlägig tätige Rechtsanwälte beim zuständigen Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg Anträge zur Feststellung der Unwirksamkeit dieser AVE gestellt, die seitens des Gerichts jedoch zunächst alle als unbegründet zurückgewiesen wurden. Erst in der Rechtsmittelinstanz vor dem BAG waren entsprechende Beschwerden der Antragsteller nunmehr erfolgreich.

Die Folgen der nun für unwirksam erklärten AVE sind derzeit noch nicht vollständig absehbar. Zwar wirkt die Feststellung der Unwirksamkeit der AVE bezüglich der Sozialkassentarifverträge für 2008, 2010 und 2014 für und gegen jedermann und hat mithin zur Folge, dass für den festgestellten Zeitraum nur für tarifgebundene Mitglieder der Verbände eine Beitragspflicht zur SOKA-Bau bestand. Insoweit es jedoch bereits abgeschlossene Klageverfahren über die Beitragsansprüche gegeben hat, stellte das BAG bereits in seiner Pressemitteilung zu seiner Entscheidung klar, dass diese von der Feststellung der Unwirksamkeit nicht berührt werden und eine Wiederaufnahme des Verfahrens (nach § 580 ZPO) insoweit auch nicht möglich ist. Ob im Übrigen wechselseitige Rückforderungsansprüche hinsichtlich erbrachter Beitrags- und Erstattungsleistungen bestehen und ob die jüngsten Beschlüsse des BAG einer Vollstreckung von Beitragsansprüchen der SOKA-Bau aus rechtskräftigen Entscheidungen entgegensteht, hatte das Gericht nicht zu entscheiden. Was für den einzelnen Betroffenen möglich ist, muss jeweils individuell unter Beachtung etwaiger Verjährungsfristen idealerweise von hiermit betrauten  Rechtsanwälten geprüft werden.

Für die Jahre 2012, 2013 und den Jahren vor 2008 liegt noch keine Entscheidung vor; diese wird jedoch noch in diesem Jahr erwartet.

Achtung: Auch hinsichtlich der in 2015 für allgemeinverbindlich erklärten, stark kritisierten Neuregelung eines Mindestberufsbildungsbeitrages in Höhe von jährlich 900 EUR auch für Unternehmer ohne Beschäftigte (sog. Solo-Selbstständige) gibt es  noch keine rechtskräftige Entscheidung durch das BAG.  Schon auf Grund neuer, erleichterter Voraussetzungen für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifvertrages durch das Tarifautonomiestärkungsgesetz von 2014 darf von den neuen weitreichenden Entscheidungen des BAG nicht automatisch auf den Ausgang dieses noch rechtshängigen Prozesses geschlossen werden. Die für 2017 erwartete Entscheidung des BAG bleibt mithin mit Spannung abzuwarten. Angeblich soll es durch den Senat im Zusammenhang mit den neuen Entscheidungen eine Bemerkung gegeben haben, wonach die AVE im Zusammenhang mit dem Mindestberufsbildungsbeitrag ebenfalls als zweifelhaft gelte.



RA'in Sabine Schönewald, 28.10.2016

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