Handwerkskammer appelliert an Schulträger, Hauptschule zu erhalten

Immer weniger Schüler an Hauptschulen: Handwerkskammer appelliert an Schulträger, dennoch die Hauptschule zu erhalten

Für die Ausbildungsplätze im Handwerk werden Absolventen aller Schulformen gebraucht, Handwerkskammer hat Werbung um Abiturienten intensiviert

"Wir haben einen wertvollen Partner verloren", kommentiert Dr. Ortwin Weltrich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer, die Schließung der Martin-Luther-King-Schule in Köln-Weiden. Mit dieser Hauptschule hatte die Handwerkskammer seit Herbst 2003 eine sogenannte Lernpartnerschaft praktiziert: Das Bildungszentrum Butzweilerhof der Kammer unterstützte die Hauptschule bei Maßnahmen der Berufsorientierung, damit Schüler besser auf den Übergang von der Schule in die Berufsausbildung vorbereitet werden.

Die Martin-Luther-King-Schule hatte sich vorbildlich für die Berufsorientierung engagiert. Nach Einschätzung der Handwerkskammer ist es eine der starken Seiten der Hauptschulen, dass ihre Lehrer viel für die Berufsvorbereitung tun; sie sind sehr aufgeschlossen für Kontakte zu ortsansässigen Unternehmen, damit nach dem Schulabschluss der Start in eine Berufsausbildung gelingt. Um so mehr bedauern die Handwerksorganisationen, dass immer mehr Hauptschulen geschlossen werden. So ist in ganz Nordrhein-Westfalen die Zahl der Hauptschulen von 733 im Schuljahr 2004/2005 auf nur noch 456 im Schuljahr 2015/2016 gesunken.

"Die Hauptschule ist besser als ihr Ruf", betont Weltrich. Die Vorstellung, mit einem Hauptschulabschluss habe man keine Chance am Lehrstellenmarkt, sei in dieser pauschalen Form falsch. Ob die Kreditinstitute jemanden mit Hauptschulabschluss zum Bankkaufmann ausbilden, wisse er nicht. Aber "43,5 Prozent der Lehrlinge, die 2015 ihre Ausbildung in einem Handwerksbetrieb der Region Köln-Bonn begonnen haben, verfügen über den Hauptschulabschluss". Im Jahr 2000 kamen knapp 60 Prozent aller Handwerkslehrlinge aus den Hauptschulen. Weil die Zahl der Hauptschüler seit Jahren rückläufig ist, geht auch ihr Anteil an den Ausbildungsverhältnissen zurück. Die Hauptschule musste innerhalb eines Jahrzehnts einen massiven Bedeutungsverlust hinnehmen, die Zahl ihrer Schüler in der Region Köln-Bonn sank von 44.041 im Schuljahr 2004/2005 auf nur noch 19.309 im Schuljahr 2014/2015 (das ist ein Minus von 56 Prozent).

Weltrich befürchtet, dass sich die Probleme der Unternehmen, ausreichend Lehrstellenbewerber zu finden, verschärfen werden, falls sich der Trend zur Schließung von Hauptschulen fortsetzen wird. Daher appelliert die Handwerkskammer an die Schulträger, diese Schulform nicht komplett aus dem Bildungsangebot zu streichen. "Nur weil die Eltern ihre Kinder in Gesamtschulen oder Gymnasien anmelden, verfügen diese nicht zwangsläufig über die dort verlangte Leistungsfähigkeit. Schulwechsel oder Studienabbrüche sind häufig die Folge dieser Überforderung", erläutert Dr. Markus Eickhoff, stellvertretender Geschäftsführer der Handwerkskammer.

Die Handwerkskammer setzt sich dafür ein, dass Absolventen aller Schulformen für eine Ausbildung im Handwerk gewonnen werden. In den ersten sieben Monates dieses Jahres haben die Handwerksunternehmen in der Region Köln-Bonn 2.579 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen, das entspricht in etwa dem Vorjahresstand. In der Lehrstellenbörse der Handwerkskammer sind derzeit noch rund 700 freie Ausbildungsplätze aufgeführt. Jugendliche, die noch keine Lehrstelle gefunden haben, aber in diesem Herbst eine Ausbildung beginnen möchten, sollten daher nicht resignieren, sondern auf die Ausbildungsvermittlung der Handwerkskammer (Telefon 0221/ 20 22 144) zugehen. Klein- und Mittelbetriebe sind bei der Besetzung offener Lehrstellen flexibel und daher oft auch bereit, noch im September oder Oktober einen Ausbildungsvertrag abzuschließen.

Weil bisher Abiturienten bei den von den Handwerksunternehmen angebotenen Ausbildungsplätzen unterrepräsentiert sind, sind für die Nachwuchswerbung der Kammer inzwischen Abiturienten eine wichtige Zielgruppe. Innerhalb weniger Jahre ist ihr Anteil an allen Ausbildungsverhältnissen im Kammerbezirk Köln spürbar gestiegen, von sechs Prozent im Jahr 2010 auf 19 Prozent im Jahr 2015. Die im Frühjahr 2015 gegründete Beratungsstelle für Studienaussteiger unterstützt Studenten, die ihr Studium abbrechen, beim Wechsel in eine Berufsausbildung. "Im vergangenen Jahr wurden über 100 umfangreiche Einzelberatungen durchgeführt. 35 Studierende konnten erfolgreich in ein Ausbildungsverhältnis in einem Handwerksbetrieb vermittelt werden", teilt Eickhoff mit.

Die Handwerkskammer verstärkt ihre Informations- und Aufklärungsarbeit an den allgemeinbildenden Schulen. So startete im Sommer das vom Land Nordrhein-Westfalen und von der EU geförderte Projekt "Ausbildungsbotschafter": 50 Lehrlinge aus dem zweiten und dritten Ausbildungsjahr werden in die Haupt- und Realschulen, in die Gesamtschulen und Gymnasien gehen, um Schüler über den Berufsalltag eines Lehrlings und über die berufliche Ausbildung im dualen System zu informieren und so Interesse für eine Berufsausbildung zu wecken. Zwei neu eingestellte Mitarbeiter der Handwerkskammer werden die jungen "Ausbildungsbotschafter" auf ihre Aufgabe vorbereiten und die Einsatztermine mit den Schulen koordinieren.

Allerdings werden es die Initiativen der Handwerkskammer nicht schaffen, die Eltern der jungen Menschen zu erreichen. Eltern aus den Mittel- und Oberschichten streben für ihre Kinder im Regelfall das Abitur an, um ihnen den Zugang zu akademischen Berufen zu eröffnen. Hier ist nach Weltrichs Überzeugung ein gesamtgesellschaftliches Umdenken erforderlich. "Es hat sich noch zu wenig herumgesprochen, dass der Fachkräftemangel in den nächsten 10 bis 20 Jahren besonders stark bei den mittleren Berufsabschlüssen, auf Techniker- und Meisterebene, ausgeprägt ist". Wer einen solchen Bildungs- und Berufsweg ansteuere, werde mit einem sicheren Arbeitsplatz rechnen können. Doch nicht bei jedem Dr. phil. und jedem Dr. jur. werde sich die Hoffnung auf gut bezahlte Karrierestellen erfüllen.